Montag, 25. April 2005

Hamburg Marathon 2005


Sonntag 9:00 fiel der Startschuss. Ich trotte mit 20.000 anderen Verrückten los auf 42,195 KM und bin immer noch ein wenig erstaunt dass es dieses Jahr wirklich geklappt hat - ich bin dabei, meinem Knie geht’s wunderbar. Dass ich jetzt über 4 Stunden lang laufen soll kann ich mir trotz der 500 KM, die ich in den letzten 12 Wochen gelaufen bin überhaupt nicht vorstellen. Mein Motto ist "25 Kilometer schaffst du auf jeden Fall, mal gucken was danach passiert." Mein Ziel: Ankommen! Ich hab also nur einen einzigen Gegner und das ist die Strecke.

Aufi gehts!

Als mir vor ein paar Jahren Karl Knapp von seinem erfolgreichen Marathon erzählte war ich voller Bewunderung. Gleichzeitig war mir klar "Für mich ist das niemals möglich." Kurz darauf begann ich selbst zu laufen, eigentlich nur um mal ein bisschen Sport zu machen und lang hats nicht gedauert bis auch bei mir der Wunsch nach der Königsdisziplin da war. Ich hab mir dennoch Zeit gelassen und mich langsam rangetastet: Über vier Jahre hab ich mich langsam vom 10 KM Lauf über zwei Halbmarathons bis zum ersten Versuch im letzten Jahr hochgearbeitet. Der war aber nicht von Erfolg gekrönt - nach 6 Wochen Training streikte mein Knie und ich musste aufgeben. Die Enttäuschung sass tief, so tief, dass ich sehr zögerte ob ich es überhaupt dieses Jahr nochmal versuchen sollte. Natürlich hab ichs doch gemacht, wer weiss ob man im nächsten Jahr noch die Zeit und die Möglichkeiten hat es überhaupt zu versuchen. Und einmal wollte ich es schaffen.

Aus meinen Fehlern vom letzten Jahr habe ich aber gelernt: Ein Anfänger-Trainingsplan ersetzte den etwas über-ambitionierten "unter 4 Stunden"-Plan aus dem letzen Jahr, der mich zwar schnell weitergebracht, aber auch mein Fahrgestell fertig gemacht hat. Meine Lehre daraus: genug Pausen machen, also nicht trainieren ist genauso wichtig wie laufen. Zwotens lief ich meistens nicht auf Asphalt um das Knie zu schonen, sondern überwiegend auf Waldwegen. Drittens: Das Ding möglichst geheim halten, damit der Druck nicht so hoch ist den man sich selbst macht. Also keine (Vor)Berichte auf Speedway. Viertens bin ich noch ein Jahr ins Fitness-Studio und habe speziell die Muskeln gestählt, die das Läuferknie stützen. Hat sich alles gelohnt, die Strategie ging auf: Am Freitag holte ich etwas erstaunt meine Startnummer für den Marathon ab. Ich sollte also 2005 wirklich dabei sein!

In der letzten Woche, als es sich abzeichnete war ich verflucht nervös: Was zieht man an, wie wirft man sich Kohlenhydrate ein und viele andere Fragen kamen auf. Dann der Blick auf die Steckenkarte auf der Website des Olympus-Marathons: Ein wahres Monster, von Blankenese bis ganz in den Norden der Stadt, dann wieder runter - das blanke Entsetzen! Zwei Tage vor dem großen Tag war ich dann wieder ganz ruhig. Ich hatte mein Trainingspensum brav abgespult, Wasser bis zum Überlaufen getankt, Pasta gemampft wie ein Scheunendrescher - ich war bereit! Es konnte losgehen. Leider musste ich am Schluss auch noch ein großes Opfer bringen. Das Finale des Karaoke-Wettbewerbs war natürlich genau am Abend vorm Marathon. Nach langem hin und her, hab ich’s abgesagt, auch wenn ich zu gern hingegangen wäre. Zu groß war der Respekt vor dem nächsten Tag.

Das Laufwetter war optimal: Sonnig, leichter Wind und kühl. Früh fühlte sich’s zwar fast frostig an, aber schon nach 10 KM wars mir schon richtig heiss unterm Shirt. Den ersten Teil der Strecke kannte ich schon von meinen beiden Halbmarathons. Der Anfang fühlt sich fast lächerlich langsam an, ich musste mich die ganze Zeit beherrschen nicht schneller zu laufen. Da es mein erster Marathon war wusste ich nicht welcher Minutenschnitt optimal für mich ist, ich hatte mir vorher irgendwas zwischen 6 und 7 Minuten überlegt. Ich ging nach Gefühl, lief so dass es sich locker anfühlt und pendelte mich irgendwo bei 6:20-6:30 Minuten ein. Die erste Hälfte des Marathons ist eigentlich eine Riesenparty. Tausende Zuschauer, Kapellen, Volksfeststimmung neben der Strecke. Als Läufer gibt’s immer was zum gucken, wodurch die ersten Stunden eigentlich schnell vorbei gehen. Bart war wieder mal mein Team. Sie versorgte mich und raste mit der U-Bahn immer wieder an markante Streckenpunkte, machte Fotos und feuerte mich an. Bis etwa 30 KM gings mir blendend. Immer schön laufen, trinken, alle Stunde ein Power Bar-Gel reindrücken - eigentlich eine schöne "Stadtrundfahrt".

Dann kam ich in den Bereich über 30. So weit war ich noch nie vorher gelaufen und war gespannt was passieren würde wenn der kritische Bereich kommt. Er kam. Irgendwann, ganz plötzlich hatte ich das Gefühl das es reicht. Der Körper sagt "sofort aufhören", die Beine werden schwer wie blei. Um mich herum fingen schon immer mehr Leute an vom Laufen ins Gehen zu wechseln. Man bekommt einen starren apathischen Blick und muss sich zwingen weiterzulaufen. Und von Kilometer zu Kilometer wird’s immer schlimmer. Am Tiefpunkt kommen Gedanken wie "warum tu ich mir eigentlich so was an?". Trotz des kühlen Wetters fühlt sich der Lauf an wie der Sahara-Marathon.

Kilometer 39: Mir reichts!

Trotzdem machte ich weiter. Ich versuchte immer innerlich ruhig zu bleiben, dachte an irgendwas anderes. Vor allem die Zuschauer halfen auch. Immer wieder ein aufbauender Spruch "Jetzt geht’s nur noch bergab", "Weit ist es nicht mehr" oder "Nur noch schlappe 10 Kilometer" - meistens alles gelogen, aber es treibt einen weiter. Die Stimmung gab mir immer wieder Impulse doch noch die letzte Energie aus mir rauszuholen. In manchen Abschnitten säumten so viele Leute die Strecke, ich fühlte mich fast schon wie bei der Tour de France. Dennoch: es war einfach bretthart. Viele um mich herum gaben auf oder gingen nur noch. Die Verlockung war stets groß auch nur noch zu walken. Aber das war meine Devise: Nur an der Tankstelle beim Trinken wird gegangen, sonst läufst Du durch! In dieser Phase musste ich an so manchen verschwitzten Immerhin-Gig denken, wo man nach 30 Songs, 3 Stunden und 50 Grad denkt dass eigentlich nix mehr geht und doch einfach weitermacht bis es irgendwann dann doch vorbei ist.

Kilometer 42.

Zum Schluss baut mich Jenny noch mal auf und macht diesen Film. Dann die allerletzten Kilometer. Bei jeder Biegung wünsche ich mir dass danach das Ziel da ist. Ist es aber nicht. Die Krönung ist bei Kilometer 40 der Gorch-Fock-Wall. Eine Strasse mit einer satten Steigung, die mir vorkommt wie eine Steilwand. Ich taufe die Strasse ich Gorch-Fuck-Wall um. Zum Glück radelt neben mir eine Radfahrerin die mit dem Megafon "Nur noch zwei Kurven, dann seit ihr da" quäkt. Das treibt mich an. Dennoch schwöre ich mir auf den letzten Metern: Nie, nie wieder! Dann endlich die Zielgerade. Und die ist noch mal verdammt lang und will kein Ende nehmen. Und wieder steht Bart an der Seite und feuert mich an. Im Ziel reisse ich die Arme hoch. Ich habs geschafft! Von großartigen Glücksgefühlen kann aber keine Rede sein. Ich bin einfach nur froh dass ich ab dem Punkt nicht mehr meine bleiernen Beine schwingen muss.

Der Zieleinlauf.

Dann gibt’s Medallie und ein unglaubliches Gewusel bis ich mein Team Bart wieder finde - sogar das Handynetz war dicht. Nach dem Lauf war ich dermassen ausgebrannt, dass ich Angst hatte mich irgendwo hin zu setzten. Wer weiss ob ich je wieder hochkomme? Bin froh dass wir nur mit der U-Bahn nach hause mussten, ich humple herum wie um 50 Jahre gealtert. Aber wenn ich mal rekapituliere ists eigentlich verdammt gut gelaufen: Ich hatte keine Krämpfe, keine größeren Probleme, vor allem hat mein Knie überhaupt nicht gemuckt und die Leute die mich bei den letzten Kilometern getroffen haben meinten ich hätte eigentlich noch recht frisch gewirkt. Das sieht aus der Ego-Perspektive zwar anders aus, aber anscheinend kann man auf den letzten Kilometern noch weitaus fertiger sein als ich es war.

Insgesamt kam ich auf eine Zeit von 4h:49min:04sek, war insgesamt 12566.er (von irgendwas um die 20.000) und in meiner Altersklasse 2649.er Worauf ich stolz bin: Das Tempo war relativ konstant! Die ersten beiden 10 KM-Blöcke bin ich in jeweils 1:05 Stunden gelaufen, den dritten in 1:07, dann etwas abgefallen auf 1:14 Stunden. Die Glücksgefühle kamen dann gestern Abend und heute.

Die Urkunde und die Medallie.

Langsam realisiere ich dass ich’s geschafft habe. Jede Gratulation macht mich stolz, vielen dank dafür! Danke an alle die mich motiviert haben, an mich geglaubt haben und mir geholfen haben. Besonders Bart, meinen persönlichen Trainer, die mich immer aufgebaut hat, oft mein Gejaule und die ganze Nervosität im Vorfeld tapfer ertragen hat. Dem Ur-Sportsfreund KarlKnapp danke ich für Tipps und Motivation (das alte A-Team!), Winston für Motivation, SMcQ und Holgman, die ich so einige male versetzen musste und auch die Leute die mir immer prophezeiten, dass ich bestimmt keinen Marathon laufen könne, weil ich keine Läuferfigur habe bla bla. Euch wollt ich’s unbedingt zeigen ;) Und danke an die Zuschauer an der Strecke.

Was wäre ich ohne mein Team?

Der erste Marathon ist geschafft. Gestern war ich noch sicher, dass es mein letzter war. Heute komm ich schon wieder auf dumme Gedanken, denn es war schon ein Riesenerlebnis- trotz der ganzen Schinderei. Mein letzter Wettbewerb wars sicher nicht, ob ich noch mal nen ganzen Marathon brauche - mal schaun. Vielleicht reicht auch ein halber, die deutlich unstressigere und eigentlich schönere Variante. Egal, jetzt hab ich erstmal die Schnauze voll vom Laufen, leg die Beine hoch, werde mal wieder richtig einen Heben gehen und geniesse den Triumph! Isch bin dem krassen Marathon-Mann!

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